Frage      Gott und die Schuld aller
Die Frage nach Schuld ist ein zentrales Thema christlichen Denkens, dessen Wurzeln tief in den biblischen Texten zu finden sind.

Wie viel eingeredetes schlechtes Gewissen plagte in den vergangenen Jahrtausenden die Gläubigen bei der Lektüre der Bibel? Wie oft wurde Gescheiterten weisgemacht, ihre Gottlosigkeit sei schuld an ihrem Unglück, da der Gerechte eben nur den Gottgefälligen belohne?

Den anderen bestrafe er mit einem Schicksalsschlag. Was für ein Unsinn! Kennen wir nicht alle genügend Reiche, Gesunde, Glückliche und Schöne mit einem schäbigen Lebenswandel? - Aber nichts desto trotz, die Bibel ist anderer Meinung!

Vor allem die Gott nachgesagte Willkür, nach Belieben zu erlösen oder zu bestrafen wen er will, scheint unter psychologischen Aspekten geradezu gefährlich. Leider lässt die Bibel keinen Zweifel daran, dass Gott den Menschen keine freie Wahl über ihre Erlösung lässt (2. Mose 33,19): "Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich."

Wir dürfen also einzig auf das Erbarmen Gottes hoffen, egal wonach wir streben und was wir tun. Allein der Allmächtige entscheidet über Verdammnis oder Seligkeit.

Das ist nicht etwa ein vorsintflutlicher Glaubenssatz aus dem Alten Testament, sondern eine Ansicht, die bis heute von der Kirche verbindlich vertreten wird (Röm 9,21): "Hat nicht ein Töpfer Macht über den Ton, aus demselben Klumpen ein Gefäß zu ehrenvollem und ein anderes zu nicht ehrenvollem Gebrauch zu machen?"

Niemand wird also durch eigenes Bemühen und Handeln gerecht (Röm 3,20): "Was das Gesetz sagt, das sagt es denen, die unter dem Gesetz sind, damit allen der Mund gestopft werde und alle Welt vor Gott schuldig sei, weil kein Mensch durch die Werke des Gesetzes vor ihm gerecht sein kann."

Nachzulesen ist das unter einem Kapitel mit dem beklemmenden Titel (Röm 3,9): "Die Schuld aller vor Gott."

Zu dieser an Inhumanität kaum zu überbietenden Lehre von der unbeeinflussbaren Vorherbestimmung des Menschen kommt der endlos wiederholte Vorwurf der Sündhaftig- keit des Individuums (Röm 3,10): "Da ist keiner, der gerecht ist, auch nicht einer."

Was der Mensch auch tut, er ist von Grund auf, von allem Anfang an schlecht (1. Mose 8,21): "Denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf."

Über Jahrhunderte hinweg wurde diese für die Psyche der Menschen verheerende Bibellehre von den Kirchenführern perfektioniert. Zwar wird sie heute weniger lautstark vertreten, aber sie ist nach wie vor Kirchendoktrin.

Der Mensch lässt sich nun mal mit schlechtem Gewissen leichter zum Gehorsam beugen.

Wie viel Schaden dieses Bild eines von Geburt an sündhaften Menschen über die Jahrtausende in den Seelen der Menschen angerichtet hat, beschreibt der Psychologieprofessor Dr. Franz Buggle: "Nicht zuletzt die moderne klinische Psychologie hat aufgezeigt, wie sehr eine so reduzierte Selbstabwertung, die Vermittlung eines so extrem negativen Selbstbildes (…) zur Quelle psychischer Störungen, insbesondere, aber nicht allein, depressiver Störungen werden kann. So kann es den klinisch-psychologisch Informierten nicht überraschen, dass wesentliche Teile der biblischen Moralvorschriften, der Willkür Gottes und der frag- und bedingungslosen Unterwerfung des Menschen entsprechend, willkürlich-ritualistische Züge tragen und nicht selten zu entsprechenden zwangsneurotisch anmutenden Versuchen der Bewältigung führen, eine Eigenschaft der Religiosität, die schon Freud gesehen hat."

(Siehe auch den Link "Gute Taten helfen nicht")

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©Johannes Maria Lehner
 
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