Frage      Pilatus und die Angst vor dem Mob
Pontius Pilatus (der Stadthalter Roms in Jerusalem) führte den gefesselten Jesus mit einer Dornenkrone auf dem Haupt vor die versammelten Juden und sagte (Joh 19,6): "Nehmt ihr ihn hin und kreuzigt ihn, denn ich finde keine Schuld an ihm."

Warum lässt er Jesus kreuzigen, obwohl er ihn für unschuldig hält? Nichts deutet darauf hin, dass er den wortkargen Mann für einen gefährlichen Revoluzzer hält, der dem Römischen Reich gefährlich werden könnte. Fürchtet er sich einfach vor dem Jerusalemer Mob, der (Joh 19,6) "Kreuzige! kreuzige!" geschrien hat?

Auch das ist historisch gesehen unwahrscheinlich. Pilatus kümmerte das Geschrei der Menge nicht. So ließ er zum Beispiel eines Tages aus Geldmangel den Jerusalemer Tempelschatz konfiszieren, um eine Wasserleitung zu bauen, wie der Historiker Flavius Josephus berichtet.

Die aufgebrachte Bevölkerung sammelte sich daraufhin auf der Straße, um gegen diesen Frevel zu protestieren. Aber Pilatus blieb gelassen und ließ die Menschen durch eine Gruppe Soldaten in Zivilkleidung brutal niederknüppeln. Viele starben damals unter den Schlägen oder wurden von den Flüchtenden zu Tode getrampelt.

Woher kommt überhaupt die große Angst vor dem angeblichen König, der auf einem Esel dahergeritten kommt, keine bewaffneten Anhänger mit sich führt und keine weltlichen Forderungen stellt?

Ein solcher Auftritt kann doch die Mächtigen jener Zeit nicht beunruhigt haben. Wir dürfen auch davon ausgehen, dass damals wie heute die Welt voll von Messiasverkündern, Teufelsaustreibern und Phantasten war.

Sie alle haben die Herrschenden auch nicht erschreckt. Ihre Sorgen könnte man verstehen, wenn Jesus mit Donner und Blitz vom Himmel gefahren wäre und den Tempel mit einem Handstreich in Schutt und Asche gelegt hätte.

Pontius Pilatus war im Gegensatz zu Jesus eine historisch verbürgte Person. Seine Lebensdaten sind bekannt, doch die Evangelien berichten nicht angemessen über ihn.

Pilatus war nachweislich ein brutaler Herrscher, der vor der Ermordung von Familienmitgliedern nicht zurückschreckte.

Die Evangelienautoren lassen ihn viel zu milde und geduldig handeln. Es gibt keinen plausiblen Grund für Pilatus' Hilflosigkeit.

Der Grund wird erst aus drama- turgischer Sicht klar: Man wollte die Römer von der Schuld am Tod Jesu frei sprechen. Schliesslich war man zur Zeit der Evangelienschreibung dabei, unter ihnen zu missionieren.

Zu diesem Zeitpunkt war der Bruch zum Judentum nämlich schon vollzogen und die Heidenbekehrung oberstes Ziel und Gebot. (Wie so oft weltliche Motive hinter den vielen Bibelgeschichten.)

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©Johannes Maria Lehner
 
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